Urmutter der Menschheitsfamilie

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Urmutter der Menschheitsfamilie

Mein Name ist Mensch

Ich habe viele Väter
Und ich habe viele Mütter
Ich habe viele Schwestern
Und ich habe viele Brüder
Meine Väter sind schwarz
Und meine Mütter sind gelb
Meine Brüder sind rot
Und meine Schwestern sind hell

Ich bin über zehntausend Jahre alt
Und mein Name ist Mensch ...

Songtext von Ton Steine Scherben (1971)


Mutter und Kind

Skulptur von Dorothea Buck im Foyer der Nervenklinik am Charité Campus Berlin Mitte

1916 Anna Lehnkering und ihre Mutter

Forschungsergebnisse vs. Rassenideologie

Bryan Sykes, Professor für Humangenetik der Universität Oxford, hat herausgefunden, dass alle Europäer  und Europäerinnen vermutlich von sieben Urmüttern abstammen, die vor rund 45.000 Jahren lebten. Er testete das Erbmaterial (DNA) von 6000 Menschen und kam zu dem Schluss, dass es nur sieben Grundmuster gibt. Es scheint so, als ob alle sieben "Ur-Evas" sich auf eine Afrikanerin aus der so genannten Lara-Familie zurückverfolgen lassen. Als Folge der Evolutionsgeschichte der Menschheit haben wir mehr gemein, als viele glauben wollen. Wir blicken zurück auf die gleichen Vorfahren und sind daher alle irgendwie miteinander verwandt. Wir gehören zu einer einzigen großen Menschheitsfamilie.  

Welch Widerspruch ergibt sich aus diesem Forschungsergebnis zu den abstrusen - angeblich wissenschaftlich fundierten - rassen- und erbbiologischen Ideen der Nationalsozialisten. Sie propagierten die Überlegenheit der "arischen Herrenmenschen" über die "Untermenschen" und teilten die Bevölkerung in "rassisch und erblich wertvolle" und "minderwertige" Menschen ein.

Menschen wie meine Tante Anna Lehnkering oder die Bildhauerin und Schriftstellerin Dorothea Buck wurden als "erbminderwertig" erfasst und zwangssterilisiert. Am Ende führte die menschenverachtende Ideologie vom Wert und Unwert der Menschen direkt in die Gaskammern der "Euthanasie"-Tötungsanstalten und zum Holocaust. Anna war eine von Hunderttausenden, die als sogenannte "Ballastexistenzen" für „lebensunwert" befunden wurden. Sie war 24 Jahre alt, als sie in der Gaskammer von Grafeneck ermordet wurde.

Hinter all dem verbarg sich ein mit Nützlichkeitsdenken verbundenes zutiefst rassistisches Menschenbild, das bis heute in manchen Köpfen existiert. Die Opfer, die Überlebenden und ihre Familien wurden auch nach Kriegsende weiterhin diskriminiert und stigmatisiert. Der vermeintliche Makel der Erbminderwertigkeit löste in vielen betroffenen Familien Scham aus, in deren Folge es zu einem Teufelskreis von Schweigen, Verdrängen und Tabuisieren des Themas kam. Nicht nur die Forschungsergebnisse von Bryan Sykes zeigen, dass es keinen Grund gibt, sich wegen seiner Abstammung besser oder schlechter als andere zu fühlen, geschweige denn sich wegen seiner Familie zu schämen. 

Verschieden und doch gleich

Natürlich sind alle Menschen verschieden. Doch "es ist normal, verschieden zu sein!" (aus der Ansprache des Bundespräsidenten R. v. Weizsäcker, 1993)  Meine Enkelkinder beispielsweise wurden wie ihre Eltern in Berlin geboren. Ihre Vorfahren stammen aus verschiedenen Teilen Deutschlands, aus dem Westen und Osten, aus dem Norden und Süden Europas und wer weiß woher. Darunter waren Bauern, Handwerker, Gastwirte, Künstler, Arbeiter, Apotheker, Lehrer und andere mehr. Manche waren groß und dünn, andere klein und dick und noch andere sahen völlig anders aus. Die Farbe ihrer Augen war blau, braun, grün oder bunt gemischt. Ihre Haare waren blond, braun, schwarz, rot, glatt, kraus oder sonst irgendwie. Sie hatten Stärken und Schwächen - auch gesundheitliche. Ihre Temperamente und Charaktere waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Kurz und gut, meine Familie ist - wie jede Familie - eine bunte Mischung von Individuen mit verschiedenen Anlagen, Fähigkeiten und Neigungen, deren Entwicklungen von zahlreichen äußeren Einflüssen geprägt wurden und werden. Jeder einzelne hat und hatte eine unverwechselbare Persönlichkeit. Doch trotz unserer Unterschiedlichkeiten haben wir alle denselben Wert. Er beruht auf der angeborenen Menschenwürde jeder Einzelperson. 

Lernen aus der Geschichte

Aus gutem Grund heißt es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren." Ein Jahr später wurde im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Reaktion auf die massive Missachtung der Menschenrechte im Nationalsozialismus als oberste Norm verankert: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (GG Art. 1, Abschn. 1)

So abgehoben und abstrakt die Sätze des Grundgesetzes für viele klingen mögen, sie sind das Herzstück unserer Demokratie. Es ist wichtig, sie im täglichen Leben in die Tat umzusetzen und zu verteidigen - umso mehr in Zeiten, in denen rechtspopulistisches Gedankengut die Grundrechte bedroht.

Der gesellschaftliche Umgang mit Krankheit, Schwäche, Alter oder einfach „Andersartigkeit" stellt uns immer wieder vor Herausforderungen. Wir alle bestimmen mit unserem Handeln darüber mit, in was für einer Gesellschaft wir heute und morgen leben. Bei dieser gewiss nicht einfachen Aufgabe kann uns der Blick in die Vergangenheit helfen. Ich bin davon überzeugt, dass wir aus der Geschichte lernen können, ja, lernen müssen. Geschichten wie die von Anna zeigen, wie wichtig es ist, genau hinzusehen, hinzuhören, zu widersprechen und falls nötig zu handeln, wenn einzelne Menschen oder Gruppen nach ihrer Nützlichkeit, ihrem vermeintlichen Wert oder Unwert bemessen werden, wenn sie aufgrund menschenverachtender Einstellungen und von Vorurteilen diskriminiert und von der Teilhabe an unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden. Es geht darum, aus der Geschichte zu lernen, damit wir heute und morgen in einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft leben können, die Respekt hat vor dem menschlichen Leben in all seiner Verschiedenheit und Unvollkommenheit, in einer Gesellschaft, die auf Toleranz gründet und in der die Achtung der Menschenwürde selbstverständlich ist.

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Wenn man sich in der endlosen Reihe der Vorfahren sieht, wird einem bewusst, wie staubkornklein die eigene Existenz ist. Den folgenden Aphorismus von einem unbekannten Autor finde ich nachdenkenswert: An seinen Vorfahren kann man nichts ändern, aber man kann mitbestimmen, was aus den Nachkommen wird.
(S. Falkenstein)


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